Wie gelingt es dir, dich in der Elternzeit selbstständig zu machen, Julia Scholtes?
Julia Scholtes hat sich entschieden, in der Elternzeit einen mutigen Schritt zu wagen und sich selbstständig zu machen. Im Interview berichtet sie davon, wie viel Planung der Aufbau eines Unternehmens neben der alltäglichen Care-Arbeit bedeutet und warum Elternschaft so viel mehr Wertschätzung verdient hätte.
Liebe Julia, stell dich doch erstmal kurz vor.
Ich bin Julia, 33 Jahre alt und lebe mit meinem Mann und meiner fast zweijährigen Tochter in Bremen. Ich bin Category Manager für einen Konsumgüterhersteller und bin aktuell in Elternzeit. Während meiner Elternzeit habe ich mich selbstständig gemacht und arbeite als Systemische Coach und Beraterin. Außerdem habe ich kürzlich ein Unternehmen gegründet in dem ich persönliche Entwicklung und Wellbeing vereinen möchte. So widme ich aktuell einen Großteil meiner Zeit in den Aufbau meines Herzensbusiness.
Wie vereinbarst du Selbstständigkeit und Familie?
Ehrlich gesagt frage ich mich das auch oft. Es ist eine wahnsinnig große Herausforderung alles unter einen Hut zu bekommen. Ich versuche mich so gut es geht zu organisieren und voraus zu planen. Mir ist es wichtig, Quality Time mit meiner Tochter zu verbringen. Ich möchte nicht die ganze Zeit am Laptop oder am Handy arbeiten, wenn ich mit ihr zusammen bin. Deswegen arbeite ich meistens, wenn sie schläft oder mal ein paar Stunden mit den Großeltern verbringt. Mein Mann unterstützt mich ebenfalls sehr und versucht seinen Arbeitsalltag mit Flexibilität zu gestalten, sodass wir beide wichtige geschäftliche Termine wahrnehmen können und uns gegenseitig entlasten. Im Alltag ist es aber eine Meisterleistung dieses Kartenhaus aufrecht zu erhalten – wenn es an einer Stelle wackelt, funktioniert nichts mehr.
Was sind im Alltag deine größten Herausforderungen?
Die Koordination wichtiger Termine aller Familienmitglieder. Da ich in Elternzeit bin und mich nebenberuflich selbstständig gemacht habe, ist mein „Hauptjob“ aktuell natürlich die Care Arbeit. So ist die einzig für mich frei verfügbare Zeit die, wenn meine Tochter schläft oder feste anderweitige Betreuung hat. Da sie noch nicht in die KiTa geht, sind das nur wenige Stunden in der Woche. Es ist eine große Herausforderung alle geschäftlichen Termine und Angelegenheiten in so kurzen und festgelegten Zeitfenstern unterzubringen. Effektiv habe ich so ca. drei Stunden während des Mittagsschlafs und wenn sie abends im Bett ist, um zu arbeiten. Insbesondere abends ist es nach einem langen Tag oft eine Herausforderung, die Konzentration zu halten. Mein Mann ist beruflich viel unterwegs, sodass die Koordination mit seinen Terminen zusätzlich sehr kompliziert ist. Wichtige Termine müssen wir tatsächlich teilweise mehrere Wochen im Voraus fest einplanen und umständlich koordinieren, sodass seine Arbeit nicht leidet und ich dennoch die für mich wichtigen Meetings wahrnehmen kann. Ein wichtiger Punkt, den auch ich immer wieder vernachlässige und unterschätze: jeder Augenblick „Freizeit“ ist mit Arbeit blockiert – Zeit für mich, Selbstfürsorge kommt leider aktuell immer zu kurz, obwohl ich weiß, wie wichtig das ist.
Was hilft dir? Was entlastet dich?
Meine Eltern, die gerne und auch sehr flexibel Zeit mit meiner Tochter verbringen und mir so zwischendurch einige Stunden Arbeit ermöglichen. Außerdem besucht meine Tochter einen Spielkreis, in dem sie dreimal pro Woche für drei Stunden betreut wird. Das ist für mich meine effizienteste Hauptarbeitszeit. Ohne diese Betreuung würde es nicht gehen und eine Selbstständigkeit wäre für mich überhaupt nicht möglich. Und natürlich mein Mann, der akzeptiert, dass unsere Familienzeit nach Feierabend oder am Wochenende häufig von mir sabotiert wird, um hier und da nochmal ein bisschen Arbeit zu erledigen. Ohne dieses „Dorf“ würde es nicht gehen.
Welche Änderungen im System würdest du dir wünschen?
Ich denke es gibt noch viele Dinge, die sich ändern müssen. Ich würde mir wünschen, dass Elternzeit und sonstige Care Arbeit einen höheren Stellenwert erlangt und auch entsprechend unterstützt wird. Für viele Familien ist es ein Luxus länger Elternzeit zu nehmen und ich finde, dass sollte es nicht sein. Außerdem würde ich mir ein besseres Betreuungssystem wünschen: insbesondere hier in Bremen, wo es immer nur im August losgeht und man so teilweise viel zu lange im voraus entscheiden muss, ob man überhaupt mit KiTa/ Kindergarten starten möchte, geschweige denn, einen (passenden) Platz zu bekommen. Durch den hohen Personalmangel graut es mir jetzt schon vor außerplanmäßigen Schließungen wegen Krankheitsfällen, obwohl es uns gerade noch gar nicht betrifft. Es wäre schön, wenn es für Eltern in Elternzeit, die sich währenddessen selbstständig machen oder selbstständig arbeiten in irgendeiner Weise eine Plattform oder Unterstützung gäbe. Man fühlt sich doch häufig wie ein bunter Hund und hat ständig das Gefühl, einem der Jobs nicht gerecht zu werden: Eltern sein ist schon ein Vollzeitjob und das sollte gewürdigt und anerkannt werden. Es ist höchste Zeit, dass das Image „Elternzeit ist ja fast wie Urlaub“ verschwindet. Ebenso wie das, der teilzeitarbeitenden Eltern, bei denen so oft so getan wird, als würden sie sich ab Mittag nur auf die Couch legen. Care Arbeit ist ein Vollzeitjob, 24 Stunden, sieben Tage die Woche mit einem enormen Verantwortungsbereich. Die damit einhergehende Mental Load ist unsichtbar, aber unvergleichbar mit jedem herkömmlichen Job. Und es ist nie Feierabend, Wochenende oder Urlaub. Das verdient viel mehr Anerkennung und Wertschätzung in unserer Gesellschaft.
Wer mehr über Julia und ihre Arbeit erfahren will, findet sie auf LinkedIn, über Instagram oder ihre Webseite. Weitere Interviews mit Eltern, die gleichzeitig selbstständig sind, findet ihr hier.