Mental Load – (K)ein Thema nur für Mütter

Mental Load – (K)ein Thema nur für Mütter

Mental Load – (K)ein Thema nur für Mütter

Notizbuch mit Aufschrift Life Planner - Beitragssbild zum Artikel Mental Load

Im Jahr 2017 verbreitete sich ein Comic ziemlich rasant in den Medien: „Du hättest doch bloß Fragen müssen“. Eine französische Bloggerin hat in einer Folge von Bildern Szenen aus dem Leben junger Eltern dargestellt und dabei vor allem die mentale Last der Frauen in den Fokus gerückt. Dieser Comic prägte hierzulande den Beginn der öffentlichen Diskussion um Mental Load.

Die nie endende To-Do-Liste im Kopf

Als Mental Load wird in unserem heutigen Verständnis die unsichtbare mentale Belastung beschrieben, die mit Sorge- und Pflegearbeit einhergeht. Gerade Mütter werden als die Betroffenen dieser Art von geistiger Last beschrieben. Was soll es zum Abendbrot geben? Muss dafür noch etwas eingekauft werden? Es soll jetzt wieder kalt werden – passt der Schneeanzug eigentlich noch? Wann war nochmal der Termin beim Kinderarzt? Haben wir noch genug Windeln zu Hause?

Es ist eine To-Do-Liste, die sich permanent erweitert, bestehend aus vermeintlichen Kleinigkeiten. In der Summe sorgt das stetige Rotieren der Gedanken und das Mitdenken für sämtliche Familienmitglieder jedoch zu Stress und Überlastung. Termine im Blick haben, Bedürfnisse antizipieren, Entscheidungen treffen, Alltagsaufgaben abarbeiten oder immer wieder andere daran erinnern, dass sie erledigt werden müssen.

Die Frau wird (auch in eingangs erwähntem Comic) zur Projektleiterin der Familie. Die Väter werden in den beschriebenen Szenarien rund um Mental Load als unaufmerksame Partner dargestellt. „Du hättest doch bloß fragen müssen!“ lautet auch der viel zitierte Titel des Comics. Väter sind bereit, Aufträge der Frauen entgegenzunehmen und wortgetreu auszuführen. Sie sind jedoch nicht weitsichtig genug, um selbst zu erkennen, wann es an ihnen wäre, sich aktiv ins Familiengefüge einzubringen.

Warum gilt Mental Load als Mütter-Thema?

Nun ist es aber nicht naturgegeben, dass Frauen sich ausschließlich und besonders gut um Kinder und Haushalt kümmern. Grund für diese Manifestation von Sorgearbeit und die damit verbundene mentale Last für Frauen ist die Sozialisation. Traditionelle Rollenbilder, die seit Jahrhunderten bestehen, begleiten uns persönlich oftmals seit der frühen Kindheit. Mütter und Großmütter haben uns vorgelebt, dass die Frauen für die Familie verantwortlich sind. Diese Prägung hält sich in der Gesellschaft und das unabhängig davon, ob die Mütter erwerbstätig sind oder nicht. Statistisch betrachtet sorgt das dafür, dass Frauen pro Tag durchschnittlich 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit wie Kinderbetreuung und Hausarbeit aufbringen als Männer. 

Männern fehlen zudem häufig Vorbilder entgegen der traditionellen Stereotype. Sie werden nach wie vor eher dahingehend geprägt, das Geld für die Familie zu verdienen. Das muss sich ändern, damit deutlich wird, dass es bei der Verantwortlichkeit für Kinder und Haushalt nicht um eine Frage des Geschlechts geht. Es liegt nicht im Blut, ob sich eine Person besser oder schlechter kümmern kann oder die organisatorischen Dinge eher im Blick hat.

Frau liegt erschöpft auf Bett

Aus einem strukturellen Problem wird eine individuelle Verantwortung gemacht

Um die mentale Last zu mildern, kursieren im Internet eine Reihe von Ratschlägen. Die Tipps richten sich häufig ebenfalls explizit an Mütter. Perfektionismus ablegen, Verantwortung abgeben, Nein-sagen lernen, das Mindset überarbeiten – all diese Empfehlungen können natürlich dazu beitragen, sich einer gewissen Überforderung zu entledigen oder eigene Grenzen besser zu wahren. Sie lösen aber nicht die strukturellen Probleme. Im Gegenteil: Müttern wird damit nur noch mehr Verantwortung übertragen.

Das kann aber langfristig nicht gelingen und sorgt vermutlich eher dazu, dass sich das punktuelle Entziehen aus dem etablierten Konstrukt für noch stärkere Belastung im gesamten Familiengefüge sorgt. Denn Schuld an der Überlastung sind nicht nur Mütter, die nicht abgeben können oder Väter, die sich nicht für den Haushalt interessieren. Die Ursache liegt vor allem in den politischen und gesellschaftlichen Strukturen sowie traditionellen Rollenbildern, sodass Familien immer wieder aufs Neue in klassische Rollenverteilungen gezwängt werden. Die Soziologin Jutta Allmendinger nennt letzteres die Retraditionalisierung der Familie. Heutzutage teilen Paare vor der Familienbildung häufig den Wunsch, sich die künftige Care-Arbeit gerecht zu teilen. Sobald die Paare dann Eltern sind, würden sich jedoch schnell die traditionelle Rollen- und Arbeitsverteilung zeigen, die sich langsam und beständig in die Haushaltsroutinen einschleichen. Was es also bräuchte, wären grundlegende politische Änderungen, die den Weg einer gleichberechtigten Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Paaren ermöglichen.

Das Unsichtbare muss sichtbar werden

Wie kann es Paaren dennoch gelingen, veraltete Rollenmuster aufzubrechen und innerhalb der Familie zunehmend den Weg hin zu einer fairen Aufgaben- und Verantwortungsverteilung zu ebenen?

Aufgaben sichtbar machen

Im ersten Schritt müssen all die unsichtbaren Belastungen sichtbar gemacht werden. Jo Lücke arbeitet zu den Themen Equal Care und Mental Load. Außerdem ist sie Sprecherin, Trainerin und Co-Leiterin der Initiative Equal Care Day. In diesem Rahmen wurde der Mental-Load-Selbsttest entwickelt. Der Test listet eine Reihe von Sorgeaufgaben in Paaren oder Familien, aber auch bei der Pflege von Angehörigen auf. Das gemeinsame Ausfüllen ist eine ideale Grundlage, um mentale Belastungen sichtbar zu machen.

Gemeinsam planen

Wenn deutlich geworden ist, welche kleinen und großen To Dos anfallen, gilt es miteinander zu sprechen und zu planen. Es könnte beispielsweise ein fester Tag pro Woche etabliert werden, an dem zusammen ein Essensplan für die Woche erstellt wird oder ein gemeinsamer Haushaltsplan gepflegt wird, auf dessen Grundlage Aufgaben nach gemeinsamer Absprache verteilt werden. Dabei ist es ratsam, immer wieder zu reflektieren und jenseits von typischen Mütter-Väter-Aufgaben zu prüfen, was gut zu den Arbeitsmodellen und Zeitressourcen innerhalb der Familie passt.

Loslassen

Und schließlich geht es wohl auch ein bisschen ums Loslassen, ums Anerkennen und ums gegenseitige Wertschätzen. Unsere Rollenbilder haben sich seit frühster Kindheit manifestiert. Es braucht Zeit und stetige Reflexion, um sie langfristig zu ändern. Wir müssen also auch unsere eigenen Denkmuster und die erlernten Verhaltensweisen immer wieder hinterfragen. Vielleicht laufen bestimmte Prozesse anders ab, als wir sie uns vorstellen, wenn wir sie plötzlich nicht mehr selbst erledigen. Aber das ist vielleicht auch einfach in Ordnung.

Und am Ende ist auch nicht immer alles nur Belastung

Bei der öffentlichen Diskussion um Mental Load fällt allerdings auch auf, dass vor allem in den sozialen Medien ausführlich dargestellt wird, welchen Stress Frauen und Mütter aushalten müssen. In lustig gemeinten Reels werden Wohnzimmer gezeigt, die die Frauen in völligem Chaos wahrnehmen, der als unfähig dargestellte Ehemann sieht es durch seine Augen hingegen bestens aufgeräumt. Oder zwei Freundinnen telefonieren umgeben von ihren spielenden Kindern und bestätigen sich gegenseitig, dass sie beide schon den ersten mentalen Zusammenbruch des Tages hatten. In anderen Szenen befüllen Mütter ihren Kaffeebecher mit Wein, um sich für den Elternabend zu wappnen. Das darf man vielleicht alles mit einer Prise Ironie sehen und einfach darüber schmunzeln, wenn es den eigenen Humor trifft.

Gleichzeitig scheint es mir etwas despektierlich, denjenigen gegenüber, die beispielsweise in prekären Lagen Sorgearbeit leisten oder tatsächlich mit psychischen Belastungen kämpfen. Verantwortung für die Familie und Sorge fürs Kind zu leisten, kann ohne Frage mit Stressmomenten einhergehen, macht nicht immer Spaß und ist zuweilen (extrem) überlastend.

Aber Verantwortung für eine Familie zu haben und sich fürsorglich um ein Kind zu kümmern, ist doch auch eine schöne Art der Verantwortung. Vielleicht braucht es an der ein oder anderen Stelle auch statt des Beklagens einen gemeinsam Blick nach Vorne, um gemeinsam und partnerschaftlich den Weg für eine gleichberechtigte Zukunft zu ebenen.

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