Der Weg in die Selbstständigkeit: Fünf Fragen an Nuria Fischer
Wie gelingt es, sich mit drei Kindern nebenberuflich selbstständig zu machen und dabei weder die Beziehung noch die eigenen Bedürfnisse aus dem Blick zu verlieren? Nuria berichtet im Interview von ihrem Weg in die inzwischen vollständige Selbstständigkeit als Diversity Trainerin. Sie beschreibt, warum Selbstfürsorge so essenziell ist, weshalb es das berühmte Dorf braucht und dass ein schmutziger Fußboden auch mal nebensächlich sein darf.
Liebe Nuria, stell dich doch erstmal kurz vor.
Nuria: Mein Name ist Nuria Fischer. Ich bin selbstständige Diversity Trainerin, freie Autorin und Speakerin. Mit Impulsvorträgen, Trainings, Diversity Strategien, 1:1 Coachings und Artikeln berate und sensibilisiere ich zu den Themen Diversität, diskriminierungssensible Kommunikation und soziale Gerechtigkeit. Ich lebe mit meinem Partner und meinen drei Kindern in unserer Wahlheimat Bremen.
Wie vereinbarst du Selbstständigkeit und Familie?
Seit ich Vollselbstständig bin, geht das relativ gut. Die Kinder sind alle in der gleichen Kita, mit der wir sehr zufrieden sind. Mein Partner und ich arbeiten beide unter der Woche 30 Stunden, während die Kinder betreut sind. Wenn ich Aufträge oder Termine habe, die außerhalb sind oder sich in den Nachmittag ziehen, ist mein Partner zuständig. Das gleiche gilt, wenn mein Partner etwas hat. Wenn unsere Termine sich überschneiden werden wir kreativ.
Über die Jahre haben wir uns ein sehr gutes soziales Netz aufgebaut und unterstützen uns gegenseitig. So werden immer mal unsere Kinder von Freund*innen nach der Kita abgeholt und wir machen das genauso. In Ausnahmefällen reisen auch mal die Großeltern an. Wenn wir in seltenen Fällen keine Lösung finden, wägen wir ab, wessen Termin wichtiger, was einfacher zu verschieben oder wer jetzt eher dran ist.
Mittlerweile funktioniert das ziemlich gut. Das liegt daran, dass wir viel Arbeit in unsere Kommunikation, Beziehung und unser Zeitmanagement investiert haben. Dabei ist uns bewusst, wie privilegiert wir sind, nicht alleinerziehend zu sein, Großeltern und Freund*innen zu haben, die uns unterstützen, dass keins unserer Kinder pflegebedürftig ist und auch wir Erwachsenen selten krank sind. Ein weiteres Privileg, das zu viel Entlastung führt, ist unsere zentrale Wohnlage, durch die wir alle Wege schnell erreichen und jeweils so gut bezahlt werden/wurden, dass wir uns Teilzeit leisten können. Teilzeit ist unser größter Luxus ohne den wir als Familie in dieser Form nicht funktionieren würden.
Der Weg in die Selbstständigkeit war aber richtig hart. Ich habe anfangs weiterhin meine 30 Stunden in der Festanstellung gearbeitet und habe zu Beginn an ein bis zwei Nachmittagen, oft am Wochenende oder auch mal im Urlaub meine Selbstständigkeit verfolgt. Als die Aufträge mehr wurden habe ich auf 25 Stunden reduziert und zumindest einen vollen Tag (oft von 9 Uhr morgens bis 21 Uhr) und zusätzlich teilweise trotzdem nachmittags oder am Wochenende gearbeitet. Im Nachgang betrachtet war das viel zu viel. Ich habe in jedem freien Moment gearbeitet und keine Erholungsphasen gehabt. Andrerseits wäre es anders nicht möglich gewesen, mir eine neue Perspektive aufzubauen. Ich bin froh, dass ich seit wenigen Monaten endlich den Weg in die Vollselbstständigkeit gegangen bin. Seitdem sind ich, meine Familie und mein Partner entlastet.
Was sind im Alltag die größten Herausforderungen?
Wenn irgendwas ungeplantes passiert. Kinder krank, Kitaausfall, kurzfristiger Auftrag oder immer mal wieder flutschen meinem Mann und mir eine unabgesprochene Doppelbuchung durch. Meistens finden wir aber eine gute Lösung. Mein Partner und ich wägen ab, was für wen in diesem Moment wichtiger ist und bleiben entsprechend zu Hause. Oft teilen wir uns auch mit anderen Eltern auf und wechseln uns ab. Außerdem führt es zu Spannung innerhalb der Beziehung, wenn die Care-Arbeit über einen längeren Zeitraum ungleich verteilt ist oder wir als Paar nicht genügend Zeit zu zweit verbringen. Dann kracht es zwischendurch immer mal und wir müssen uns wieder neu ausrichten und verteilen.
Was hilft dir? Was entlastet dich?
Das wichtigste ist, dass mein Partner und ich uns und unsere Bedürfnisse, Termine etc. ernst nehmen und als gleichwertig ansehen. Wir arbeiten seit dem ersten Kind daran unsere Beziehung so gleichberechtigt wie möglich zu gestalten. Wir haben von Geburt an unsere Kinder abwechselnd ins Bett gebracht, jeweils sieben Monate Elternzeit genommen und unsere Arbeitszeit auf 30 Stunden reduziert. Wir haben unzählige Abende damit verbracht Übersichten über Care-Arbeit, Beziehungsarbeit und jeweilige freie Zeiten zu erstellen. Eine gute Kommunikation als Paar, ein wohlwollender supportender Umgang miteinander und ein stabiles soziales Netzwerk sind die Voraussetzungen dafür, dass Vereinbarkeit innerhalb des kleinen Mikrokosmos Familie funktioniert.
Über die Jahre entferne ich mich immer mehr vom Perfektionismus. Ich halte es aus, wenn der Küchenboden auch mal ein paar Tage nicht gesaugt wurde oder die Wäsche sich auftürmt. Ich musste hart an mir arbeiten, um mich nicht für alles und jeden in der Familie und der Beziehung zuständig zu fühlen. Dafür musste ich loslassen. Was mir dabei geholfen hat, war die Perspektive, was ich mit meiner Zeit machen kann, wenn ich jetzt nicht den Boden sauge, der in wenigen Stunden sowieso wieder genau gleich aussieht. Grenzen ziehen, die eigenen Bedürfnisse auf dem Schirm haben und für sie einzustehen und radikale Selbstfürsorge, sind für mich Voraussetzungen, damit es mir mental und körperlich gut geht. Wenn ich mich nicht ausreichend um mich kümmere, empfinde ich die Familie als Belastung und da hat niemand was von. Deshalb ist regelmäßig selbstbestimmte Zeit für mich das wichtigste.
Welche Änderungen im System würdest du dir wünschen?
Viele! 🙂 Als allererstes wünsche ich mir das bedingungslose Grundeinkommen. Das würde so viel erleichtern und möglich machen und ist meiner Meinung nach die einfachste Lösung, um viele Probleme rund um Abhängigkeiten, toxische Beziehungen, Mental Load und unterdrückende Arbeitsverhältnis zu lösen. Wir könnten viel freier dem nachgehen, was uns erfüllt und werteorientiert handeln.
Außerdem wünsche ich mir, dass die Illusion der Kleinfamilie aufgebrochen wird. Es wäre ein Zugewinn für Erziehungspersonen, Kinder und die Gesellschaft, wenn Care-Arbeit und Beziehungsarbeit von mehr Menschen gemacht wird als einer einzelnen Person oder zwei. Kinder sind das wichtigste in unserer Gesellschaft. Ohne sie wird es irgendwann keine Gesellschaft geben. Genau so sollten sie und ihre Erziehungspersonen auch gesehen und entsprechend unterstützt und entlastet werden.
Vielen Dank für das Interview, liebe Nuria. Wer in Kontakt treten möchte, findet Nuria auf LinkedIn, Instagram oder über ihre Webseite. Weitere Interviews findet ihr hier.